Im folgenden Interview sprechen wir mit Ricarda Louk über den Verlust ihrer Tochter Shani, die beim Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 getötet wurde.
Frau Louk, wie geht es Ihnen heute – fast zwei Jahre nach dem 7. Oktober?
Manchmal fühle ich mich so, als wäre Shani immer noch im Ausland, und irgendwann wird sie an die Tür klopfen. Aber es ist mir natürlich klar, dass das nicht passieren wird. Die Zeit macht es ein bisschen leichter, aber wir kommen immer wieder zurück auf den 07. Oktober und ich bin immer von Neuem erschrocken, dass Shani nicht mehr bei mir ist.
Was sind Ihre ersten Gedanken, wenn Sie an den 7. Oktober zurückdenken? Gibt es bestimmte Bilder oder Momente, die sich unauslöschlich eingeprägt haben?
Die Bilder vom 07. Oktober, die ich immer im Kopf habe, sind von dem schrecklichen Video, in dem Shani hinten auf dem Pick-Up Truck liegt, verkrümmt, mit den Hamas-Terroristen, mit ihren Gewehren. Wie sie in Gaza einfährt und ihr die Leute auf den Kopf spucken, als ob sie eine Trophäe wäre. Diese Bilder werden wahrscheinlich nie weggehen. Ich erinnere mich auch daran, als mein Sohn dieses Video bekommen hat und zusammengebrochen ist, im Schock.
Ihre Tochter Shani wurde nach dem Anschlag zum Sinnbild für das unfassbare Leid dieses Tages. Was denken Sie über die große mediale Aufmerksamkeit – und welche Gefühle löst das in Ihnen aus?
Wir bekommen immer wieder mit, wie viele Leute sich mit Shani verbunden fühlen, wie viele sie berührt hat mit ihrem Herzen, auf der ganzen Welt. Egal aus welchem Land, wir bekommen viele Nachrichten, dass die Menschen wirklich an Shani denken und Shani ihnen auch geholfen hat, in ihrem Alltagsleben, das Gute zu sehen und positiv zu denken. Shani ist ein Vorbild geworden und ein Sinnbild für den schrecklichen Anschlag am 07. Oktober. Ich finde es schön, dass sie vielen Menschen hilft und dass man wirklich das Gute in ihr sieht, was sie auch war. Das hilft auch uns, die Geschehene zu verarbeiten und zu sehen, dass sie etwas Gutes hinterlassen.
Wie haben Sie den Umgang mit den Opfern des 7. Oktober in Deutschland erlebt? Fühlen Sie sich und Ihre Tochter von der deutschen Öffentlichkeit getragen – oder eher allein gelassen?
Leider sehe ich immer wieder in den Nachrichten in Deutschland, dass der 07. Oktober immer mehr in den Hintergrund rückt und die Leute schon vergessen haben, wie das Ganze anfing. Der Fokus liegt jetzt auf Gaza, auf Israel und auf dem Krieg. Man bemüht sich immer weniger, die Hamas zu zwingen, die Geiseln freizulassen und den Krieg zu beenden. Der Druck und die Last liegen immer nur auf Israel und das kann ich einfach nicht verstehen. Dass man so ein großes Massaker wie der 07. Oktober einfach vergessen kann, ist einfach unglaublich für uns.
Welche Unterschiede nehmen Sie im Umgang mit den Opfern in Israel und in Deutschland wahr? Was hat Sie positiv überrascht, was enttäuscht?
Heute gab es ein Attentat auf den Verkehrsbus in Jerusalem (08.09.25), sechs Menschen sind ums Leben gekommen, mindestens 20 wurden schwer verletzt. Terroristen sind in den Bus eingedrungen und haben Menschen mit brutaler Gewalt erschossen. Die Kommentare, die ich aus Deutschland sehe, lauten: „Israel hat ja viel mehr Menschen umgebracht, es ist also in Ordnung.“ Es wird relativiert, vereinfacht und die Kriegsopfer werden gleichgestellt mit Zivilisten, die auf dem Weg zur Arbeit waren und brutal im Bus erschossen wurden. Das ist für mich unverständlich.
Was wünschen Sie sich persönlich – als Mutter – von der deutschen Gesellschaft im Umgang mit Shanis Tod?
Ich kann nicht fassen, dass es noch acht deutsche Staatsbürger in Hamas-Gefangenschaft als Geiseln gibt und dass das in Deutschland kaum thematisiert wird. Es beschäftigt niemanden, dass es auch deutsche Geiseln in Gaza gibt, niemanden kümmert es. Es ist mir unverständlich, warum nicht mehr Druck aus Deutschland auf die Hamas aufgebaut wird, die Geiseln freizulassen, darauf würde ein Waffenstillstand und das Kriegsende folgen.
Wie bewältigen Sie die Trauer? Gibt es bestimmte Rituale, Orte, Gespräche, die Ihnen Kraft geben?
Ich habe keine bestimmten Rituale oder Gespräche, die mir Kraft geben. Ich denke einfach an Shani ab und zu, das passiert mir oft, wenn ich alleine Auto fahre und ein Lied läuft, dass wir zusammen angehört haben. Ich denke an die guten Sachen, die schönen Erinnerungen. Ich spreche viel darüber, halte Vorträge über Shani und den 07. Oktober, das gibt mir auch Kraft. Wir versuchen, sie in guter Erinnerung zu haben, ihr Licht zu verbreiten und Hoffnung zu spenden in der Welt.
Was möchten Sie, dass die Welt über Shani erfährt – jenseits der Schlagzeilen? Wer war sie als Mensch?
Shani war sehr optimistisch, sie hatte immer Glauben an die Menschheit. Sie sagte immer, es gibt keine schlechten Menschen, es gibt nur Menschen, denen es schlecht geht. Sie hat immer auf das Gute im Menschen vertraut. Sie hatte viel Kontakt zu Menschen weltweit, die Abstammung und Religion waren ihr immer egal. Ich glaube, das sollten wir auch so fortführen, toleranter sein, weniger urteilen und das Gute in Menschen sehen, das Positive bewahren.
Wie blicken Sie auf die Zukunft? Gibt es Hoffnung, dass aus diesem Schmerz etwas Gutes erwachsen kann?
Ich habe immer noch die Hoffnung, dass etwas Gutes am Ende herauskommt, aus dem ganzen Gräuel, das passiert ist am 07. Oktober, die Opfer, die getöteten Soldaten und auch den Palästinensern. Ich hoffe, dass der Krieg zum Abschluss kommt und für alle Seiten ein besseres Leben entstehen kann.
Wenn Sie der jungen Generation etwas mitgeben könnten – in Israel, in Deutschland, weltweit – was wäre das?
Der jungen Generation kann ich nur sagen, seid nicht einfach nur Mitläufer mit der nächsten Mode, wie zum Beispiel auf pro-palästinensische Demos zu gehen. Informiert Euch vorher gut, für was und wogegen Ihr auf die Straßen geht. Hinterfragt die Motive, lernt über beide Seiten, historische Ereignisse, alles, was Ihr erfahren könnt, nicht allein von den sozialen Medien, auf denen oft Fake News verbreitet werden. Bleibt tolerant für alle Seiten, verbreitet nicht Hass. Ich habe das Gefühl,in Europa wird das immer schlimmer und extremer, so viele Aktionen und Demonstrationen beruhen auf Hass. Ich kann nur hoffen, dass das aufhören wird und dass bessere Tage kommen.
Foto: Archiv Ricarda Louk
